Neue soziale Medien und die Gestaltung der öffentlichen Meinung
Neue soziale Medien und die Gestaltung der öffentlichen Meinung
Der Moskau-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung (SZ) Paul Katzenberger unterstrich zunächst die Bedeutung der sozialen Medien in Deutschland. Bereits 87 Prozent aller Deutschen besitzen mindestens ein Profil in sozialen Medien. Dementsprechend nutze ein großer Teil primär Online-Kanäle um sich über das Weltgeschehen zu informieren. Jedoch stelle der Einsatz von Bots eine erhebliche Gefahr für den öffentlichen Online-Diskurs dar. Bots sind Programme, die weitgehend automatisch sich wiederholende Aufgaben abarbeiten, ohne dabei auf eine Interaktion mit einem menschlichen Benutzer angewiesen zu sein. Der schädliche Einfluss von Bots könne nicht nur im amerikanischen Wahlkampf, sondern auch in Deutschland beobachtet werden. Ein Netzwerk von radikalen Netzaktivisten namens Reconquista Germanica habe sich in die Bundestagswahlen 2017 zu Gunsten der rechtspopulistischen AfD eingemischt. Dazu vereinbarten die radikalen Aktivisten in geschlossenen Foren Uhrzeiten, Hashtags und Ziele ihrer Kampagnen, um die Algorithmen der sozialen Medien zu manipulieren und den politischen Online-Diskurs zu beeinflussen. Daher sei eine stärkere Regulierung von Nöten.
Roman Osharov, Associate Fellow bei Chatam House, vertrat die These, dass es auch in Russland unabhängige Medien gibt. Diese seien dadurch definiert, dass sie nicht vom Staat finanziert werden und keine Beziehung zum „Großkapital“ unterhalten. Von solchen vollständig unabhängigen Medien gebe es drei Typen. Sie alle arbeiten nach dem sogenannten Partisanen-Modell: Sie berichten über Ereignisse, die sonst nicht aufgegriffen werden. Den ersten Typ bilden Medien, die aus dem Ausland agieren wie die Internetzeitungen Meduza, die 2014 nach Lettland umgezogen sei oder The Insider. Vollständige Finanzierung über Spenden kennzeichnen den zweiten Typ, wie das Nachrichtenportal MediaZona. Dem dritten Typ können Blogger oder einzelne Journalisten zugeordnet werden, die einen eigenen Channel auf Telegramm betreiben. Allerdings spielen diese Medien (noch) keine relevante Rolle im Meinungsbildungsprozess, weil die Kontrolle seitens des Staates gewachsen sei und zukünftig auch weiter zunehmen werde. Des Weiteren sei nach wie vor das mehrheitlich staatliche Fernsehen die präferierte Informationsquelle der Russen.
In der anschließenden Debatte wurde deutlich, dass stärkere Regulierung auch dazu missbraucht werden kann, um kritische Stimmen verstummen zu lassen. Als Negativbeispiel wurde das russische NGO-Gesetz genannt, dass „etwas zu hart“ sei. Neben angemessener Regulierung können Desinformationskampagnen in den sozialen Medien am wirksamsten durch eine starke Zivilgesellschaft, höhere Medienkompetenz und Medienstandards bekämpft werden. Am Beispiel der Onlineausgabe der SZ erklärte Herr Katzenberger, wie höhere Medienstandards realisiert werden können: 2015 fand ein Wechsel weg vom Anzeigen-finanzierten Modell, hin zum bezahlten statt. Der Vorteil bestehe darin, dass die Artikel nicht mehr „reißerisch“ verfasst werden müssen, um möglichst viele Aufrufe zu generieren, sondern qualitativ „hochwertiger“, um auch dem kritischen Leser ein Angebot bieten zu können.