Rechtsstaatlichkeit
Ella Pamfilova, Ehemalige Beauftrage für Menschenrechte und Zivilgesellschaft beim Präsidenten der Russischen Föderation, führte in die Debatte zum Thema Rechtsstaatlichkeit in Russland ein. Ihre Ausgangsthese lautete: „Eine tiefgreifende Modernisierung ist nur möglich, wenn sich das politische System Russlands grundlegend ändert“. Es gebe nämlich derzeit zu viele Widersprüche im System selbst. Auch wenn die Verfassung Russlands und die Gesetzgebung eine ausreichende Basis für einen demokratischen Rechtsstaat legten, so bestünde das größte Problem in der Anwendung des Rechts.
Pamfilova ist überzeugt, dass die Rechtsunsicherheit Bürger und Wirtschaft in gleicher Weise beträfen. „Die größte Gefahr für Unternehmen geht von den Rechtsschutzorganen selbst aus, die oftmals kriminalisiert, korrupt und nicht unabhängig agieren.“ Mit dieser schonungslosen Einschätzung begann eine angeregte Diskussion der Seminarteilnehmer mit der Referentin.
Pamfilova sieht aber auch positive Entwicklungen. Die russische Bevölkerung artikuliere zunehmend den Wunsch nach einer neuen Werteorientierung. Durch die jüngsten Bürgerproteste anlässlich des Ämtertauschs von Medwedjew und Putin seien politische Zugeständnisse erreicht worden. So könnten Gouverneure erneut direkt gewählt werden und die Registrierung neuer Parteien sei erleichtert worden. „Auch wenn nach der für Putin traumatisierenden Erfahrung nun die Zügel wieder angezogen werden, wird der Bürgerprotest nicht verschwinden, sondern wird sich in einem Prozess der zivilen Selbstorganisation auf anderen Ebenen weiter entwickeln“, ist sich Pamfilova sicher.
Pamfilova ist zuversichtlich, dass aus dieser außerparlamentarischen Bewegung in den nächsten Jahren eine neue politische Opposition entstehen wird, die die Reform des politischen Systems vorantreibt. „Die politischen Veränderungen sind unausweichlich – nicht weil die Machthaber das wollen, sondern weil die Gesellschaft es verlangt.“ ist das Fazit der Referentin.