Die demographische Entwicklung als Herausforderung für die Wirtschaft
Im ersten Themenblock beschrieben Dr. Reiner Klingholz, Direktor des Berlin Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und Dr. Sergey Zakharov, Stellvertretender Direktor des Instituts für Demographie der Staatlichen Universität Moskau, die demographische Entwicklung in Europa. Zwar sei überall auf der Welt ein Trend zu niedrigeren Kinderzahlen zu beobachten, allerdings sei Europa und insbesondere Deutschland Vorreiter bei dieser Entwicklung, mit erheblichen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Sozialsysteme.
„In Deutschland liegt die Geburtenrate pro Frau seit etwa 40 Jahren stabil bei 1,4 Kindern. Das bedeutet, die jeweilige Kindergeneration ersetzt ihre Elterngeneration nur noch zu etwa Zweidritteln“, rechnete Klingholz vor. Von Generation zu Generation beschleunige sich so der Schrumpfungsprozess, weil die Zahl der Frauen, die überhaupt Kinder bekommen könnten, ständig kleiner werde. „Derzeit kommen in Deutschland bereits nur noch halb so viele Kinder auf die Welt, wie zur Zeit des Baby-Booms in den 60er Jahren“, so der Berliner Demographie-Forscher. Durch eine längere Lebenserwartung und durch Einwanderung sei zwar die Bevölkerung in Deutschland relativ stabil geblieben, aber inzwischen deutlich gealtert. Seit dem Jahr 2003 sei nun ein Bevölkerungsrückgang zu beobachten: „Wir haben seitdem 500.000 Menschen verloren.“ Nach den Prognosen des Berlin-Instituts wird der Verlust bis 2050 bei etwa zwölf Millionen Einwohnern liegen. Jeder siebte Deutsche sei dann über 80 Jahre alt.
Noch dramatischer stellt sich die Lage in Russland dar. Hier rechnet Dr. Sergey Zakharov mit einem Rückgang um 14 Millionen Menschen bereits bis zum Jahr 2025. Habe Russland mit einer Bevölkerungszahl von 145 Millionen Menschen im Jahr 2000 weltweit noch an 6. Stelle gelegen, werde es bis 2050 wohl auf Platz 18 zurückfallen. „Es wird schwer für die Wirtschaft werden, sich anzupassen. Es wird einen harten Kampf um kluge Köpfe geben“, erwartet Zakharov. Die Gründe für den starken Bevölkerungsschwund in Russland lägen neben einer niedrigen Geburtenrate auch in einer international niedrigen Lebenserwartung. Alkoholmissbrauch sei hierfür der wesentliche Grund.
Die bisherige Familienpolitik in Russland beurteilt der Forscher aus Moskau kritisch. „Man kann Kinder nicht mit Geld kaufen.“ Die allgemeine Verbesserung der Betreuungsmöglichkeiten sei wichtiger, als die Erhöhung des Kindergeldes, so Zakharov.
Mit Verweis auf Frankreich, das Vereinigte Königreich und die skandinavischen Länder – allesamt Regionen mit vergleichsweise hohen Geburtenraten – stellte sein deutscher Kollege Klingholz fest, dass es durchaus politische Maßnahmen gibt, mit denen der Bevölkerungsschwund zumindest gebremst werden kann: „Heute sind die Kinderzahlen in den Ländern hoch, in denen viele Frauen erwerbstätig sind.“ Gleichzeitig müsse aber alles dafür getan werden, dass Frauen Familie und Beruf verbinden könnten, etwa durch den Aufbau von Ganztagsschulen. Mit einer schnellen Wirkung könne man allerdings nicht rechnen. „Mindestens zwei Generationen wird es dauern, bis die Wirkung einsetzt.“
Trotz der düsteren Prognosen sieht Klingholz Deutschlands Zukunft nicht völlig pessimistisch: „Man kann sich klug anpassen. Wenn wir weniger Köpfe haben, müssen wir durch Bildung mehr aus ihnen herausholen.“ Zudem nutze Deutschland das Potenzial von Migranten viel zu wenig. „Wir müssen mehr für die Integration dieser Menschen tun, weil unsere Zukunft von ihnen abhängt.“