Die demographische Entwicklung als Herausforderung für die Wirtschaft
Fünf demographische Teilaspekte bestimmen die Bevölkerungsstruktur des heutigen Russlands, erklärte Dr. Sergey Zakharov zu Beginn seines Vortrages: eine zu niedrige Fertilität, eine immer noch hohe Sterblichkeit, eine alternde Gesellschaft, Entvölkerung ganzer Landstriche und Einwanderung mit den damit verbundenen Herausforderungen der Integration. Die niedrigen Geburtenrate liege – in Deutschland wie in Russland – unter anderem in einem immer späteren Alter der Elternschaft begründet, führt der stellvertretende Direktor des Instituts für Demographie an der Moskauer Höheren Schule für Wirtschaft aus. In Deutschland entschieden sich heute bereits 17 Prozent der Eltern bewusst gegen Kinder, verglichen mit nach wie vor nur vier Prozent in Russland.
Die hohe Sterblichkeit sei ein speziell russisches Phänomen. „Ein Mann im Alter von 20 Jahren hat heute in Russland nur eine 50-prozentige Chance, das Rentenalter zu erreichen“, so Zakharov. Er betonte zudem, dass die Lebensdauer entgegen dem Trend in allen westlichen Ländern in Russland heute immer noch zurückgehe, vor allem für Männer, was unter anderem im hohen Alkoholkonsum begründet liege.
Für Wirtschaft und Gesellschaft liege die besondere Herausforderung darin, das starke Absinken der arbeitsfähigen Bevölkerung zu bewältigen.
Hier knüpfte Dr. Bernhard Gräf von der Deutschen Bank Research an, indem er zunächst aufzeigte, wie sich vor dem Hintergrund des globalen Bevölkerungswachstums, das laut Vereinten Nationen bis zum Jahr 2050 auf über neun Milliarden Menschen ansteigen wird, die Bedeutung Europas relativieren wird. Fast überall auf der Welt steige die durchschnittliche Lebenserwartung kräftig, während die Geburtenraten zurückgingen. Dadurch steige in allen Kontinenten, bis auf Afrika, die gesellschaftliche Belastung der arbeitsfähigen Bevölkerung.
Die demographische Transformation in Deutschland wird nach Ansicht von Gräf enorme Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Die Bevölkerungszahl werde in den nächsten 50 Jahren von derzeit rund 80 Millionen auf etwa 60 Millionen absinken. „Dies führt zu einer dramatischen Verschiebung in der Bevölkerungsstruktur“, so Gräf. „Das Erwerbspersonenpotential schrumpft in diesem Zeitraum doppelt so schnell wie die Gesamtbevölkerung“. Schon in den letzten zehn Jahren sei das Durchschnittsalter der Belegschaften um durchschnittlich zwei Jahre angestiegen; in den nächsten zehn Jahren werde ein Viertel der heutigen Erwerbsbevölkerung in Rente gehen. Dadurch werde das Wachstumspotential der Wirtschaft zunehmend gedämpft. „Die stärksten Auswirkungen auf die Wirtschaft werden aber erst 2030 zu spüren sein“, so Gräf, „und hier ist das Problem der kurze Horizont der Politik.“
Die umlagefinanzierten Sozialsysteme hätte durch die Überalterung drastische Einbußen zu erwarten und könnten im Fall der Rente nur noch eine Grundsicherung bieten. Auch die öffentlichen Bilanzen würden erheblich belastet und die Verschuldung vermutlich dramatisch ansteigen.
Es gibt mehrere Stellschrauben, an denen laut Gräf angesetzt werden könne, um die Auswirkungen des demographischen Wandels abzufedern. Besonders wichtig sei es, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Hierfür müsse eine Kombination verschiedener Maßnahmen greifen, so zum Beispiel eine Steigerung der Erwerbsquote von Frauen unter anderem durch die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ein späteres Renteneintrittsalter, schnellere Ausbildungszeiten, eine Steigerung der Jahresarbeitszeit durch beispielsweise die Streichung von Feiertagen und nicht zuletzt mehr Zuwanderung qualifizierter Arbeitnehmer. „Langfristig ist Bildung der Königsweg, in Verbindung mit mehr Kindern“, meint Gräf.