Politik: Wiederaufbau deutsch-russischer Beziehungen
Die erste Diskussion wurde von Dr. Vladimir Morozov, Programmkoordinator des Russian International Affairs Council (RIAC), mit einer Analyse der deutsch-russischen Beziehungen eröffnet. Er stellte fest, dass die dank der deutschen Wiedervereinigung entstandene „Spezialbeziehung“ beider Länder nicht mehr existiere. Deutsche Interessen haben sich seitdem stark verändert: Die EU ist zur obersten außenpolitischen Priorität geworden. Für die neueste Generation deutscher Entscheidungsträger spiele Russland keine besondere Rolle mehr. Zudem wandle sich Berlins gegenwärtige Rolle in der Weltpolitik hin zu einer globalen Ordnungsmacht. Währenddessen sei Moskau, tief enttäuscht vom Konzept „Großes Europa“, zur traditionellen Rolle des „Global Player“ zurückgekehrt. Das Resultat sei ein deutlicher Vertrauensverlust in den bilateralen Beziehungen. Aus Sicht Moskaus sei nicht die Ukraine-Krise, sondern die NATO-Erweiterung ursächlich für diese Entwicklung. Russland und Deutschland bzw. die EU müssten ihre Erwartungen aneinander noch deutlicher artikulieren und Argumente ihres Gegenübers ernst nehmen. Ein schwieriger Schritt, den Moskau zukünftig werde gehen müssen, sei die Beziehung zur EU zu verbessern. Die OECD könne eine mögliche Dialogplattform bieten, die sich nicht nur humanitären, sondern auch sicherheitspolitischen und ökonomischen Fragen widmet. Perspektivisch könne Vladimir Morozov sich sogar einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zwischen der EU, der EAWU und sogar China vorstellen.
Der Abgeordnete des Europäischen Parlaments für die Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) Daniel Caspary wies in seiner Rede darauf hin, dass Vladimir Putin in seiner ersten Präsidentschaft Russland modernisieren und in Europa integrieren wollte. Von diesem Kurs sei er in den letzten Jahren leider abgekommen. Während der Wiedervereinigung habe sich Deutschland nicht nur von Russland, sondern von allen seinen Partnern wegen einer innenpolitischen Wende abgewendet. Er gab zu: „Ja, es war ein Fehler“. Der Grund für die Vertrauenskrise liege aber keineswegs in der NATO-Osterweiterung. Die Stationierung von Militärgeräten in Zentral- und Osteuropa wurde begrenzt, um Russland entgegenzukommen, was einen Vertrauensvorschuss darstelle. Außerdem habe die EU den WTO-Beitritt Russlands unterstützt. Dieses Vertrauen sei jedoch durch das russische Vorgehen in Tschetschenien, Syrien und der Ukraine unterminiert. Moskau könne zwar weiterhin die USA international „stören“, jedoch sei dieses „Schienbein-Treten“ nicht förderlich, da es zu viele Ressourcen einbinde. Zudem habe Brüssel bereits gelernt, mit den Destabilisierungsversuchen der Russen und neuerdings auch der USA umzugehen. Stattdessen könnten diese Ressourcen in produktive Zusammenarbeit mit der EU wie bei der Realisierung des Projekts Nord Stream 2 eingesetzt werden, um gemeinsame Interessen zu verfolgen.
In der anschließenden von Dr. Gesine Dornblüth moderierten Diskussion wurde deutlich, dass weder Deutschland, noch Russland Alternativen zum Minsker-Abkommen bei der Regulierung der Ukraine-Krise vorliegen. Allerdings sei mit Fortschritten erst ab 2019/2020 nach ukrainischen Wahlen zu rechnen. Differenzen offenbarten sich bei der Beurteilung der Frage, was für die Vertrauenskrise ausschlaggebend war: die NATO-Osterweiterung oder das Einmischen Russlands in die inneren Angelegenheiten der Ukraine. Ferner bestand Einigkeit darüber, dass trotz Sanktionen gemeinsame wirtschaftliche Projekte realisiert werden müssen.