Gespräche 2017

Die Welt im Wandel: Globalisierung, Digitalisierung, Neue Medien

Jules Verne und Stanislaw Lem hätten ihre Freude daran gehabt: Die Deutsch-Russischen Gespräche Baden-Baden wagten 2017 im 10. Jahr ihres Bestehens einen intensiven Blick in die Zukunft. Augmented Reality, Bionetics, Robotics, Artificial Intelligence, Blockchain, Cyberbots und Internet of Things – hinter diesen Begriffen verbirgt sich eine revolutionäre Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft. Welche dramatischen Veränderungen durch die sich immer weiter beschleunigende Digitalisierung insgesamt zu erwarten sind, dies diskutierten auf Einladung des Ost-Ausschusses und der BMW Foundation Herbert Quandt vom 8. bis 12. Oktober in Baden Baden 31 junge Führungskräfte aus Deutschland und Russland.

Zu den hochkarätigen Referenten gehörten Jane Zavalishina, Vorstandsvorsitzende der russischen Yandex Data Factory, der Director Digital von PriceWaterhouseCoopers Mathias Elsässer, Anton Pronin vom russischen IT-Cluster Skolkovo oder die Crowdfunding Experten Egor Elchin (Planeta.ru) und Vincent Zimmer (Kiron). Die Experten zeichneten in Ihren Beiträgen, die von der Journalistin Gesine Dornblüth moderiert wurden, ein wahrhaft revolutionäres Bild der nahen Zukunft:

Mensch und Maschine wachsen zusammen, unter die Haut implantierte Chips werden zu Gesundheitsmanagern, die alle Körperfunktionen überwachen und regulieren. Blinde lernen mit Hilfe von Sensoren und Chips das Sehen, Gelähmte mit Maschinenunterstützung das Gehen. Der Zugang zu Bildung wird über virtuelle Universitäten, auf der Spitzenforscher ihre Vorlesungen für alle anbieten, erheblich vereinfacht. Der einzelne Mensch wird immer stärker vermessen, läuft damit aber auch Gefahr immer kalkulierbarer und überflüssiger zu werden: Drohnen und autonom-fahrende Autos sind die Transportmittel der Zukunft, Maschinen kommunizieren untereinander und treffen selbstständig Entscheidungen. In der Smart-City ist alles lückenlos miteinander vernetzt: Straßenlampen, Transportsysteme, Gebäude. Künstliche Intelligenz optimiert den Einsatz von Chemikalien, Energie oder Wasser. Begrüßungsroboter sprechen Kunden in allen nötigen Sprachen an und kennen unsere Bedürfnisse besser als wir selbst, noch ehe wir ein Geschäft betreten haben. 47 Prozent der derzeit bestehenden Jobs, so eine vielzitierte aktuelle Studie, wird es durch die Digitalisierung in wenigen Jahren nicht mehr geben. Dafür entstehen völlig neue Aufgabenprofile.

Insgesamt eröffnet Big Data Unternehmen gigantische Entwicklungschancen, aber gleichzeitig auch schwer kalkulierbare Risiken, so das Fazit der meisten Vorträge. Große Aufgaben sind zu lösen: Wer ist verantwortlich, wenn autonome Fahrzeuge Unfälle verursachen? Wie lässt sich erreichen, dass Maschinen nicht allein nach Effizienz, sondern auch nach Moral und Ethik entscheiden? Wie lässt sich verhindern, dass Fake News, die von Cyberbots per Twitter in die Welt gesetzt und via Facebook in die Timelines der User gespült werden, nicht zu realen Fehlwahrnehmungen und -entscheidungen führen? Und wie können persönliche Daten gleichzeitig optimal genutzt und gleichzeitig maximal geschützt werden?

Viktor Poljakow von der russischen Software-Schmiede Tibbo Systems sorgte für nachdenkliche Gesichter, als er erzählte, wie er Anhand gescannter Jugendfotos aus den frühen 1990er Jahren die abgebildeten Personen problemlos im Internet des Jahres 2017 wieder aufspüren konnte.

Ergänzt wurden die Seminarteile im ehrwürdigen Palais Biron unter anderem durch eine Exkursion in das Karlsruher Institute of Technology (KIT). Dort gaben Spitzenforscher wie der Kryptologe Prof. Jörn Müller-Quade und die Informatikerin Prof. Jivka Ovtcharova Einblicke in neueste Forschungen zu den Themen Cybersecurity und Virtual Reality. Im „Industrie 4.0 Collaboration Lab“ des KIT konnten sich die Seminarteilnehmer auf einen Spaziergang durch eine virtuelle Fabrik begeben.

Zum Abschluss des Seminars widmeten sich die Seminarteilnehmer in einer Gruppenarbeit der Frage, welche Auswirkungen künstliche Intelligenz auf den Arbeitsmarkt der Zukunft haben wird. „Wenn alle gleich denken, denkt niemand“, ermutigte Studienleiter Oliver Gnad vom Berliner Bureau für Zeitgeschehen die Teilnehmer dazu, auch gänzlich überraschende Entwicklungen in diese „Vorhersage-Analyse“ einzubeziehen.

Anders als in den vergangenen Jahren, spielten 2017 in Baden-Baden die großen politischen Themen eine kleinere Rolle, ohne dass der tiefe Vertrauensverlust in den bilateralen Beziehungen seit Beginn der Ukraine-Krise ausgeklammert wurde. Dafür sorgten die spannenden Referate des Russland-Beauftragten der Bundesregierung Gernot Erler, des russischen Regierungsberaters Jewgenij Gontmacher und von Alt-Bundespräsident Christian Wulff. Dieser beeindruckte die Teilnehmer am Eröffnungsabend im Baden-Badener Kurhaus Casino mit einer kritischen, aber auch selbstkritischen Analyse zu den deutsch-russischen Beziehungen und der Entwicklung Europas. „Ich bin immer schon von Russland total fasziniert“, bekannte Wulff mit Blick auf frühe Reisen als Jungpolitiker nach Moskau. Leider sei heute mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall in Russland und vielen anderen Teilen der Welt ein negativer „wind of change“ zu spüren, hin zu Populismus und Autoritarismus. Viele Menschen fühlten sich abgehängt, die Globalisierung habe sich dadurch zu einer Gefahr für die Demokratie entwickelt. „Große Fragen der Zukunft werden international gelöst, oder sie werden nicht mehr gelöst“ mahnte Wulff und appellierte an die Teilnehmer: „Tragen wir dafür Sorge, keinen Kalten Krieg mehr zuzulassen.“

Klaus Mangold, in dessen Zeit als Vorsitzender des Ost-Ausschusses die Deutsch-Russischen Gespräche Baden-Baden 2008 gegründet worden waren, und Michael Schaefer, Vorstandsvorsitzender der BMW Foundation, äußerten sich in Ihren Eröffnungsansprachen ähnlich. Die Teilnehmer sollten die Zeit in Baden-Baden intensiv nutzen, um sich kennenzulernen und dauerhaft einen positiven Beitrag zur deutsch-russischen Verständigung zu leisten. „Lassen sie uns die Tage so verbringen, dass alle am Ende sagen, es war eine gute Investition“, wünschte sich Mangold und Schäfer betonte: „Nicht nur über Differenzen, sondern auch über Überschneidungen von Interessen, sollten wir reden.“